"Die Jäger der vergessenen Mörder"

Stern Magazine

by Tilman Müller

October 14, 1999

 

(EDITED BY SITE PROVIDER)

 

14. Oktober 1999

Die Jäger der vergessenen Mörder


STERN-REPORTAGE / KEIN NAZI-VERBRECHER soll sich sicher fühlen, jeder wird
verfolgt und der Justiz übergeben - dafür kämpft eine neue Generation
amerikanischer Ermittler. Der Detektiv Steven Rambam stellte jetzt im Allgäu einen
früheren SS-Schergen, der sieben Juden ermordet haben soll / Von Tilman Müller

Der giftgrüne Subaru Legacy rast über die George-Wa shington-Brücke ins Verkehrsgewühl von
Manhattan. Steven Rambam blickt kurz in den Rückspiegel, als er die Fahrspur wechselt, und schiebt
wie nebenbei eine Cassette in den Recorder.

'Zehn Männer stehen an der Grube', tönt es da in hartem, schleppendem Englisch aus dem Lautsprecher.
'Dann kommt der Kommandeur. Bäng! Sie fallen in die Grube. Eine kleine Weile, dann die nächsten.
Bäng! Bäng! Und sie fallen in die Grube. Den ganzen Tag geht das so. Dann sind keine Männer mehr da.
Dann die Frauen aus den Sonderbaracken. Die Kinder gehen mit den Frauen. Bei der ersten Gruppe
schaue ich zu, dann nicht mehr. Und dann, am 9. November, 13 Uhr, ist Schluss. Keine Juden mehr.'

Die Stimme auf dem Band stammt von Antanas Kenstavicius, zwischen 1941 und 1944 zuerst
stellvertretender Leiter, dann Chef der litauischen Polizei des Distrikts Svencionys. Laut Dokumenten
und Zeugenaussagen befehligte der Nazi-Kollaborateur dort die Exekution von 8000 Juden. Mindestens
drei Menschen soll er eigenhändig ermordet haben.

Nach Kriegsende flüchtete Kenstavicius nach Kanada, lebte dort in einem Kaff namens Hope völlig
unbehelligt, fast 50 Jahre lang. Bis Steven Rambam kam. In der Küche haben sie gesessen und
geplaudert, der einsame Kriegsverbrecher und der Mann aus New York. Rambam gab sich als Professor
Salvatore Romano aus, erzählte von einer Studie mit dem Titel 'Interdependenz ziviler und
militärischer Streitkräfte' und heuchelte Verständnis für die 'schwierige Situation, damals während
des Krieges' - so lange, bis Kenstavicius Zutrauen fasste und die Hinrichtungen in allen entsetzlichen
Details schilderte. Er ahnte nicht, dass seine Geständnisse über einen Minisender in Rambams
Kugelschreiber in ein Auto vor seinem Haus übertragen wurden, in dem ein Mitarbeiter sie auf Band
nahm. Nur sechs Tage, tönte der Nazi-Scherge, habe die Vernichtung sämtlicher Juden von Svencionys
gedauert. Nackt und aller Habseligkeiten beraubt, seien die Menschen zu den Gruben gegangen. Und
Kenstavicius' Frau warf ein: 'Wie die Schafe ließen sie sich treiben.'

Kenstavicius ist einer von 170 mutmaßlichen Nazi-Kriegsverbrechern, die Rambam in den letzten
drei Jahren ausfindig gemacht hat, fast alle in Kanada. In 64 Fällen gelang es ihm, die Männer
persönlich mit den Taten zu konfrontieren, die ihnen vom Simon-Wiesenthal-Zentrum und anderen
jüdischen Organisationen zur Last gelegt werden. Damit ist der 42-jährige Privatdetektiv innerhalb
kurzer Zeit zu einem der erfolgreichsten Ermittler von NS-Verbrechen geworden - obwohl er keine
Behörde hinter sich hat, sondern auf eigene Rechnung operiert.

'Kanada ist ein gottverdammtes Hotel für Kriegsverbrecher', sagt Rambam im Stau der Lexington
Avenue. 'Ihr in Deutschland denkt wohl noch, dass eure Alt-Nazis alle in Südamerika abgetaucht sind.'
Mit seinem dunklen Haar und der abgewetzten Lederjacke wirkt er ein bisschen wie Sylvester Stallone
in jüngeren Jahren. An diesem Tag erledigt er in Manhattan einen ganz normalen Job. Rambam
versucht, jemanden aufzuspüren, der einem Klienten eine 'dicke Stange Geld' schuldet. 175 Dollar pro
Stunde kassiert der Muskelmann dafür.

Der 'Teilzeit-Nazi-Jäger' (Rambam über Rambam) besitzt eine Sicherheitsfirma mit Filialen in San
Antonio, Toronto, Hongkong und Israel. Was HighTech und Geheimdienstmethoden angeht, ist er mit allen
Wassern gewaschen. Auf seinen Fax-Mitteilungen steht dort, wo normalerweise die Sender-Kennung
festgehalten ist, 'confidential' - vertraulich. Und keiner darf wissen, wo in Manhattan sein
Hauptquartier ist. 'Ich wette 10 000 Dollar', verkündet er, 'die Adresse kriegt ihr nie raus.'

Rambam entstammt einer Familie sephardischer Juden italienischer und syrischer Herkunft, die vom
Holocaust kaum betroffen war. Hinter seiner Rambo-Fassade verbirgt sich ein übervorsichtiger
Mensch. Einer, dessen Augen stets in Bewegung sind, wachsam jede Person in der Umgebung taxieren.
'Du musst aufpassen, diese Nazis haben untereinander Verbindung und wollen dich womöglich
umbringen', sagt er beim Steak-Essen im 'Asti', einem Italiener im Greenwich Village. Zu Kenstavicius
ging er erst, nachdem er sich Kopien von dessen Telefonrechnungen beschafft und sich vergewissert
hatte, dass die angewählten Teilnehmer keine Nazis waren.

Kaum hatte Rambam den Fall Kenstavicius publik gemacht, starb der Massenmörder im Alter von 90
Jahren am 22. Januar 1997, wenige Stunden nachdem in Kanada ein Abschiebe-Prozess gegen ihn
begonnen hatte. Dennoch war die Arbeit nicht vergebens. Die schrecklichen Bekenntnisse, festgehalten
auf Band, bewegten Millionen von Menschen. Die 'Jerusalem Post' berichtete darüber, das
US-TV-Magazin '60 Minutes' und fast jede kanadische Tageszeitung.

'Demnächst komme ich nach Deutschland', verspricht Rambam spät abends im 'Asti'. Bei einem
ehemaligen SS-Offizier, der wie Kenstavicius wehrlose Menschen umgebracht habe, wolle er 'an die
Türe klopfen'. Ein Zeuge, den er vor kurzem im kanadischen Montreal vernommen hat, belaste diesen
Mann schwer.

Rambam hielt Wort.

Am Samstag, dem 2. Oktober, morgens um neun, steht er in der Lobby des Stuttgarter Hotels 'Maritim'.
Am Hosenbund eine Videokamera, in der Jacke ein Tonbandgerät, so klein wie eine Zündholzschachtel.
Morgen geht's nach Zürich, übermorgen zur Aufklärung eines Mafia-Falls nach Sizilien, heute nach
Wangen im Allgäu. Zu dem ehemaligen SS-Untersturmführer Julius Viel, der in den ersten Apriltagen
des Jahres 1945 sieben KZ-Gefangene bei Theresienstadt kaltblütig erschossen haben soll.

'Der Mann ist schon 81', sagt Rambam, 'für uns Nazi-Jäger ist die Zeit der größte Feind.' Während der
Autofahrt ins Allgäu spielt er schon mal 'den Showdown' durch: 'Mehr als 60 Sekunden Zeit hab ich
nicht', bläut er sich ein, 'also kurz vorstellen und sofort auf Theresienstadt kommen, da wird er
dichtmachen, und dann muss ich ihn provozieren, damit er etwas Belastendes von sich gibt.' Er weiß
auch schon, wie: ' Sie sind doch ein tapferer SS-Offizier , werde ich sagen, warum hauen sie denn vor
einem Juden ab? '

Rambam hat im Fall Viel die deutschen Behörden bereits vor über zwei Jahren eingeschaltet. Mitte
1998 nahm die Stuttgarter Staatsanwaltschaft die Ermittlungen auf, sie vernahm zweimal den von
Rambam ausfindig gemachten Belastungszeugen Adalbert Lallier, 74, Professor an der Concordia
University in Montreal, der als Untergebener Viels die Tat aus nächster Nähe beobachtet haben will.
Noch sucht der Staatsanwalt nach 620 möglichen weiteren Zeugen; erst 280 sind befragt.

Viel wohnt in einer Villensiedlung nahe Wangen. Er war Journalist, hat Artikel über das Wandern
geschrieben und dafür 1983 das Bundesverdienstkreuz bekommen. An seiner Haustür sind die Initialen
'C M B' vom letzten Dreikönigsfest aufgemalt, daneben ein Schild, 'Vorsicht, Hund'. Nachmittags gegen
15 Uhr fährt Viel mit seiner Frau aus der Garage. Rambam hängt sich an den Audi und stellt die beiden,
als sie an einer Kuhweide zum Spazierengehen aussteigen. 'Ich komme aus New York und möchte mit
Ihnen über Theresienstadt im Frühjahr 1945 sprechen', sagt Rambam ruhig. 'Lassen Sie mich damit in
Ruhe', sagt Viel und bewegt sich wie auf ein inneres Kommando sofort zum Wagen zurück. Die Frau
bedeckt mit emporgestreckten Händen sein Gesicht. 'Ein Sauvolk seid ihr', schreit sie und drängt den
Gatten in den Wagen, 'wir holen die Polizei.' Der Nazi-Jäger fragt noch einmal: 'Waren Sie in
Theresienstadt?' 'Nein', ruft Viel und rauscht davon.

Auch gegenüber dem Staatsanwalt hat Viel bisher alles abge stritten. Über einen Anwalt hatte er
erklärt, zum Zeitpunkt der Tat sei er 'nicht mehr in Theresienstadt' gewesen. Laut Auskunft des
Bundesarchivs war Viel ab Dezember 1936 SS-Mitglied (Nr. 292 583), ab 1937 in der SS-Einheit
'Dachau' und bis 1944 in der SS-Panzerdivision 'Das Reich'. Danach gehörte er, so der Zeuge Lallier,
in Theresienstadt der SS-Division 'Prinz Eugen' an. Bereits 1963 hatte ein anderer Augenzeuge, der
inzwischen verstorbene SS-Mann Erich Rohlfing, Viel des Mordes an den sieben Juden bezichtigt. Das
daraufhin eröffnete Ermittlungsverfahren wurde aber 1964 eingestellt. Niemand kennt derzeit den
Wortlaut von Rohlfings Aussagen. Denn trotz gut einjähriger Ermittlungsarbeit sind die Akten, so
Sabine Mayländer, Sprecherin der Stuttgarter Staatsanwaltschaft am Mittwoch voriger Woche zum
STERN, 'noch nicht aus Dortmund eingetroffen'.

Wenige Stunden danach freilich geht die Stuttgarter Justiz in die Offensive und lässt Viel festnehmen.
Offizielle Begründung: Es seien neue Dokumente aufgetaucht. Sie stammen aus dem Archiv des
Konzentrationslagers Theresienstadt und wurden von Rambam in Zusammenarbeit mit Journalisten des
ARD-Magazins 'Report Mainz' beschafft: Listen mit den Namen der Juden, die in Leitmeritz bei
Theresienstadt zum fraglichen Zeitpunkt erschossen wurden.

Rambam erfährt auf Sizilien von der Festnahme. 'Ich freue mich erst, wenn er rechtskräftig verurteilt
ist', sagt er trocken am Telefon. 'Es gibt immer noch viel zu viele von diesen alten Nazi-Typen, die
Juden mit ihren eigenen Händen getötet haben. Wenn ich mal Kinder habe und die mich fragen, was hast
du getan gegen diese Mörder, dann will ich guten Gewissens antworten können.' Und dann nennt er den
Namen einer deutschen Stadt, in der er einen weiteren NS-Verbrecher aufgespürt hat. Bei dem will er
demnächst 'anklopfen'.

Der Zeuge Lallier, im Banat aufgewachsener Nachfahre französischer Hugenotten, 1942 als
17-Jähriger zur Waffen-SS zwangsrekrutiert, schreibt dem STERN per E-Mail vom Montrealer
Krankenbett aus. Seit 54 Jahren verfolgt ihn das grauenhafte Geschehen, damals, als 8000
KZ-Gefangene einen Panzersperrgraben gegen die vorrückenden Sowjets ausheben mussten und Viel,
sein befehlshabender Offizier, willkürlich sieben Menschen erschossen habe. 'Zwei Männer fielen
sofort tot um; der dritte, ein riesiger Mann mit Armen wie Eichen und einem rotschwarzen Bart, wurde
einmal angeschossen, fiel um, stand aber auf und erhob einen Arm drohend gegen den Deutschen, worauf
ihn der zweite Schuss traf; er stand noch mal sehr mühsam auf, bis ihn der dritte Schuss traf, worauf
er sich nicht mehr rührte.'

Lallier konnte trotz seiner SS-Mitgliedschaft 1951 problemlos nach Kanada einwandern. Etwa 3000
NS-Kriegsverbrecher fanden dort zwischen 1945 und 1951 Zuflucht. In den USA waren es, laut
US-Justizministerium, knapp 10 000. Etwa die Hälfte dieser Nazi-Einwanderer dürfte heute noch am
Leben sein.

Jahrzehntelang wohnten und arbeiteten sie unbehelligt in der Neuen Welt. Mähten samstags im
Vorgarten den Rasen und hängten zu Halloween die Laternen raus, oft in der Nachbarschaft von
jüdischen Immigranten. Erst 1979 wurde erstmals in Nordamerika ein Amt für die Verfolgung von
NS-Verbrechern geschaffen: das Office of Special Investigations (OSI), eine Sonderabteilung des
amerikanischen Justizministeriums. Der Zusammenbruch der Ostblock-Regime beschert der wohl
mächtigsten Nazi-Jäger-Truppe der Welt nun neues Belastungsmaterial aus bisher verschlossenen
Archiven. Da es sich bei den in Nordamerika abgetauchten Ex-Nazis meist um 'Volksdeutsche' und
osteuropäische Kollaborateure handelt, steckt in den Dokumenten aus Moskau oder Bukarest fast immer
ein neuer Fall.

Mit der Gründung des OSI wurde in den USA eine Verfassungsänderung beschlossen, die eine Ausweisung
von NS-Tätern vorschreibt, wenn diese bei der Einwanderung ihre Kriegsverbrechen verschwiegen
haben. Auf dieser Basis hat das OSI immerhin die Abschiebung von 52 Ex-Nazis bewirkt. Kanada
hingegen wies bisher nur zwei aus.

Die Regierung in Ottawa steht wegen dieser mageren Bilanz - und nicht zuletzt durch Rambams
spektakuläre Aktionen - unter Druck. Zwar richtete das Justizministerium eine dem OSI vergleichbare
'Sektion Kriegsverbrechen' (War Crimes Section) ein, doch derzeit arbeiten die Ermittler nur an
sieben Ausbürgerungsverfahren. Eines davon betrifft den Deutsch-Kanadier Helmut Oberlander. 'Dieser
Mann', sagt Bernie Farber vom 'Jüdischen Kongress' in Toronto, 'ist der vermutlich übelste
NS-Kriegsverbrecher, der heute in Nordamerika lebt.' Zwecks Ausbürgerung Oberlanders hat das
Bundesgericht in Ottawa ein 'Kompendium der Fakten und Beweise' erstellt, das dem STERN vorliegt.
Danach war der 1924 im ukrainischen Molochansk (Halbstadt) geborene Volksdeutsche zwischen 1941
und 1944 Mitglied der 'Einsatzgruppen'.

Diese Killerkommandos, 3000 Mann stark, operierten hinter den Linien der Wehrmacht im
Vernichtungsfeldzug gegen die Sowjetunion. Etwa 500 000 Zivilisten, größtenteils Juden, fielen ihnen
zum Opfer. SS-Mann Oberlander war Dolmetscher in der Einsatzgruppe D, die bis April 1942
mindestens 91 678 Menschen ermordet hatte, sowie im Sonderkommando 10a, das Juden in mobilen
'Gaswagen' liquidierte. Der SS-Mann trat stets, mit einer Maschinenpistole bewaffnet, in Uniform auf
und erhielt 1943 das Eiserne Kreuz. Nach dem Krieg verschlug es ihn nach Baden-Württemberg. In
Leonberg erhielt er 1952 einen deutschen Pass, in Karlsruhe 1954 das Visum für Kanada. In Bremen
schiffte er sich noch im selben Jahr ein. Gegenüber der Einwanderungsbehörde in Quebec gab er seinen
Geburtsort anstelle von Halbstadt mit 'Halberstadt, Germany' an.

In Kanada ist der heute 75-jährige Oberlander im Baugeschäft ein reicher Mann geworden und kann
sich teure Anwälte leisten. Wie einst Halbstadt ist auch sein jetziger Wohnort eine Hochburg der
Deutschen. Früher hieß sie Berlin, seit 1916 Kitchener. Jeder Vierte der 280 000 Einwohner ist
deutschstämmig. Alljährlich findet hier das größe Oktoberfest außerhalb Münchens statt.

'Aufruhr in der Gemeinde', titelt ein Lokalblatt, als das kanadische Fernsehen eine
45-Minuten-Dokumentation über die Kriegsverbrechen Oberlanders sendet. Überall wird die Affäre
heiß diskutiert. 'Mann', ruft im 'Schwaben-Club' ein aus dem Banat stammender Rentner, 'vor über 50
Jahren bin ich mit einem Kartoffelsack um den Arsch aus dem Balkan getürmt, weil Tito meine Familie
abgeschlachtet hat, und jetzt soll es Leuten an den Kragen gehen wie dem Oberlander - wo der doch hier
die halbe Stadt aufgebaut hat.'

Helmut Oberlander ist in seiner Vorortvilla auf Tauchstation gegangen. Die Klingel läutet, es bewegt
sich ein Vorhang, aber die Tür wird nicht geöffnet. Am Telefon blockt der Schwiegersohn ab: 'Die
Anwälte sind gegen Gespräche mit Journalisten, Helmut ist das Opfer einer Kampagne.'

Ehemalige Elite-Nazis wie Oberlander, die mit der Wehrmacht in den Ostgebieten kämpften, verteidigen
sich oft mit dem Argument, sie seien damals 'dienstverpflichtet' worden. Doch die Historiker sind sich
längst einig, dass die Einsatzgruppen Freiwilligenverbände waren. Simon Wiesenthal, der berühmteste
Nazi-Jäger, urteilte schon vor Jahren, dass die 'Schuld der Kollaborateure oft viel größer ist als die
der Nazis. Sie haben sozusagen ihre Nachbarn umgebracht, waren mit den Opfern auf dieselben Schulen
gegangen, haben sie gekannt'.

V or vier Jahren bekam Oberlander erstmals zu spüren, dass die Vergangenheit ihn einholt. Er war
gerade in seinem Haus auf der Ferieninsel Marco Island im US-Bundesstaat Florida, da kam der
beharrlichste Nazi-Jäger Amerikas zu Besuch - OSI-Chef Eli Rosenbaum. Der stellte den
Deutsch-Kanadier vor die Wahl: sofort zurück nach Kanada oder ein Ausweisungsverfahren mit
vorläufiger Festnahme in den USA. Oberlander wählte Variante eins. Doch auch in Kanada droht ihm
jetzt die Abschiebung, noch in diesem Monat soll entschieden werden.

Rosenbaum, 44 Jahre alt, Harvard-Jurist und wie Rambam nicht mehr Angehöriger der
Opfer-Generation, hat schon so manchem alten NS-Täter das Handwerk gelegt. Der ehemalige
UN-Generalsekretär Kurt Waldheim darf schon seit zwölf Jahren amerikanischen Boden nicht mehr
betreten. Der unermüdliche OSI-Mann hatte mit einem Recherche-Team Verstrickungen des damaligen
österreichischen Bundespräsidenten in Kriegsverbrechen aufgedeckt.

Mit einer 20-köpfigen Mannschaft arbeitet Rosenbaum an 300 Ermittlungsverfahren. In der
Washingtoner OSI-Zentrale türmen sich Aktenberge rings um die Computer. Beim Gang durch die Flure
demonstriert der Boss, dass hier eine neue Generation von 'Nazi hunters' am Werk ist. Über der
Ledercouch in seinem Büro hängt eine riesige Landkarte des 'Dritten Reichs' mit Angaben über KZs und
Wehrmachtsbezirke. Daneben ein Bild des legendären Nazi-Verfolgers John Malkin, der 1960 in
Argentinien Adolf Eichmann aufspürte, den Schreibtischtäter der 'Endlösung'. Der schlaksige OSI-Chef,
dessen Vater als US-Soldat zu den Befreiern des KZs Buchenwald gehörte, sitzt keine fünf Minuten still.
'Los, Jungs, auf zu den Panzerschränken', tönt es hinter dem Schreibtisch, wo er gerade E-Mails
überflogen hat.

Acht Historiker sind bei OSI fest angestellt - alle um die 40 und auf NS-Geschichte spezialisiert.
Perfekte Deutschkenntnisse sind für sie ein Muss. Seit Öffnung des Eisernen Vorhangs gehen bei der
Behörde zahlreiche Originaldokumente ein, die einst von der Sowjetarmee erbeutet, jedoch nie
ausgewertet wurden - Unterlagen der Einsatzgruppen, der KZLager oder der SS-Totenkopfbrigaden. Die
Namen der Beteiligten werden an die Einwanderungsbehörde übermittelt, die per Computercheck prüft,
ob die jeweilige Person je in die USA kam. Bei positivem Ergebnis werden sofort Ermittlungen
begonnen.

Doch auch diejenigen, die bisher nie eingereist sind, können es mit dem OSI zu tun bekommen.
Rosenbaums Fahnder haben in die Computer der Einreise-Büros eine 'Suchliste' eingespeist mit den
Namen von 60 000 Nazis, meist ehemaligen SS-Männern. US-Beamte an Flughäfen und Grenzstationen
melden sich, wenn jemand auftaucht, der auf der Liste steht. 'Mitten in der Nacht bimmelt bei mir oft
das Telefon', sagt Rosenbaum, der dann entscheiden muss und schon etliche Ex-Nazis zurückgeschickt
hat. 'Die Herren von der SS haben mitunter seltsame Erklärungen für ihre Tätowierung unter der
Achsel', sagt er, 'einer meinte mal, da habe ihn im Krieg eine Kugel gestreift.'

Bevor es zu Ausbürgerungsverfahren kommt, konfrontieren die OSI-Jäger mutmaßliche
NS-Verbrecher immer im persönlichen Gespräch. Der 80-jährige Jakob Reimer etwa, gegen den
derzeit in Manhattan ein Prozess läuft, gab zwar zu, dass er sich während eines Massakers im
polnischen Trawniki in dieser Stadt aufhielt, stritt aber eine Beteiligung ab. Er habe 'verschlafen'.

Auch Michael Kolnhofer leugnete beharrlich seine Verbre chen, obwohl ihn Dokumente, die ein
OSI-Mann präsentier te, eindeutig als SS-Wächter in den Konzentrationslagern Buchenwald und
Sachsenhausen überführten. Nachdem ihn ein OSI-Mitarbeiter mit den Beweisen konfrontiert hatte,
begann 'Mike' Kolnhofer, der über 40 Jahre lang in seiner Nachbarschaft in Kansas City als
freundlicher Mann geachtet war, zu trinken. An manchen Tagen leerte er zwei Flaschen Wodka, verließ
kaum noch die Wohnung. Nur seinen Garten pflegte er bis zuletzt. Als an Silvester vor zwei Jahren
Journalisten auf seine Veranda zuliefen, zog er eine Pistole und ballerte wild um sich. Polizisten
forderten ihn vergebens auf, die Waffe niederzulegen, dann feuerten sie zurück. 'Warum schießt ihr
auf mich?', rief der 79-Jährige empört. 'Ich bin doch kein Jude!' Von mehreren Kugeln getroffen,
wurde er ins Hospital eingeliefert. Drei Monate später starb er.

'So wie bei Kolnhofer geht es natürlich nicht immer aus', sagt Eli Rosenbaum und blickt auf einen
Aktenstapel mit unerledigten Fällen. Aber das Ende des SS-Mannes aus Kansas City enthalte 'eine
Botschaft für alle Kriegsverbrecher, die noch unter uns sind', sagt der OSI-Chef und schlägt mit der
Faust auf den Tisch. 'Wir kriegen euch. Alle.'

'Für uns Nazi-Jäger ist die Zeit der größte Feind', sagt Steven Rambam

'Es gibt noch zu viele NaziTypen, die Juden mit eigenen Händen ermordet haben'

'Kollaborateure haben oft ihre eigenen Nachbarn umgebracht, Menschen, die sie kannten'

 


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